NEUIGKEITEN AUS UNSERER SCHULE

20. Türchen (Adventskalender)

20. Türchen: Der Baum

Er dreht sich, kneift seine Augen zusammen, atmet schwer und tritt um sich.

In seinen Augen bilden sich kleine Tröpfchen, welche die weichen Wangen herunterlaufen.

„Mama?”

Die piepsige Stimme schallt durch den Wald und trifft den kleinen Jungen wieder tief in die Seele. Er ist allein, gefangen inmitten dieser Masse an Grauen erregenden Bäumen, welche wie Schatten eines Monsters auf ihn herabblicken.

Seine Zähne klappern und ein nervöses Keuchen entweicht seinen Lippen. Es ist so kalt, dass er den Atem vor seinem Gesicht sehen kann.

Für mehrere Minuten wandert er durch den Schnee. Bisher hat er noch kein Zeichen von irgendetwas Lebenden entdeckt, bis auf das eine kleine Eichhörnchen, welches verängstigt das Weite suchte. Ein starker Windstoß lässt einen Haufen Schnee von einem Ast fallen - der kleine Junge springt zurück, stolpert und rollt einen Abhang herunter. Inzwischen weint er bitterlich.

„Mama, wieso bist du nicht bei mir?”, wimmert er nur, vergräbt seinen Kopf in seine Oberschenkel und versteckt diesen mit seinen Händen. Er zieht seine Nase hoch und traut sich wieder aufzuschauen.

Als Johann merkt, wie jemand ihn trägt und in das weiche Bett legt, welches er immer so liebt, und wohltuende Arme ihn umgeben, hört das Weinen auf. Wärme hüllt seinen Körper in ein ihm bekanntes Gefühl von Frieden.

Ein Baum gröhnt und kniet vor ihn - bei Weitem ähnelt dies nichts, was er bisher im Alltag gesehen hat. Dementsprechend liegt auch seine Kinnlade weit unten. Einer der Äste reicht zu ihm runter, einladend. Zitternd greift der Kleine zu dem Baum hin und lässt sich durch den Wald leiten. Ohne zu zögern, vertraut er der unbekannten Gestalt, welche ihn in eine Lichtung führt. In den einzelnen Büschen liegen kleine Sternchen, winzige Figuren und bunte, glänzende Weihnachtskugeln.
Sie glänzen genau so wie seine Augen.

Ohne eine Miene zu verziehen, bricht der Baum Äste von seiner mächtigen Krone ab und legt sie auf den Boden und mit einer Bewegung vor den Augen des Jungen entflammt er den Haufen zu einem Feuer. Dann setzt der Baum sich hin und wartet.
Zögernd nimmt der Junge sich eine Kugel und stapft zu dem Baum hin. Dieser greift sich ihn und hebt ihn hoch - sieht ihn erwartungsvoll an. Der Baum knackt ein wenig, strotzt nur so vor Alter und Weisheit, aber auch von Kraft. Johanns Milchzähne zeigen seine Freude.

Mehrere Augenblicke verbringen der Junge und der Baum damit, die Krone zu einem funkelnden Meisterwerk zu wandeln. Zumindest zu etwas Funkelndem, denn ein Meisterwerk war der Baum schon. Die Flammen geben dem Jungen Wärme und Kraft und das Schmücken der einzelnen kleinen Äste und das Rauschen der Blätter erfüllen ihn mit Ruhe.

Johann ist fertig, und der Baum legt ihn neben das Lagerfeuer. Mit einzelnen Blättern deckt er ihn zu, blickt ihn beim Einschlafen an. Der Baum spürt keinen Stolz - spürt auch kein Bedürfnis nach Dankbarkeit, denn indem der Baum dem Jungen alles gegeben hat, was er kann, hat er den Kleinen zum Leuchten gebracht. Und das lässt auch den Baum friedlich schlummern.
Johann wacht auf mit dem Geräusch von Zischen aus der Küche. Die kleinen Füße flitzen in das Wohnzimmer hinein und springen in die Arme seiner Mutter.

„Guten Morgen, mein junger Mann.”

Seine Augen wandern zur Ecke des Raumes und erblicken den Weihnachtsbaum, welcher genauso geschmückt ist wie der Baum aus seinem Traum. Seine Mama kniet auf seine Augenhöhe und legt einen Arm um seine Schulter.

„Der sieht schön aus, nicht? Als ich ihn geschmückt habe, musste ich die ganze Zeit an dich denken.”

 

Autor: Philipp Landgrafe (Jahrgangsstufe 13)

Bildzeichnerinnen: Melina Hamann und Afnan Messoudi (Klasse 8)